“Und hier ist noch Ihr Rezept!” Nichts Besonderes in einer Zahnarztpraxis? Das kommt darauf an, was auf dem Rezept steht: Man nehme Bananen, Weizenkleie, Erdnussbutter, Zuckerrübensirup, Kakaopulver und Mandeldrink – und fertig ist der Smoothie aus der Zahnarztpraxis. Bevor die Fragezeichen in Ihren Köpfen weiter wachsen: Ja, die gibt es und so ungewöhnlich ist das nicht. Ernährung ist eine wichtige Säule unserer Gesundheit und Treibstoff für unser Immunsystem. Nicht nur in Corona-Zeiten heißt es deshalb: Gesund beginnt im Mund und schmecken sollte es natürlich auch. In der Praxis von Oralchirurg Dr. Philip Stehling in Neumünster sorgt dafür eine ausgebildete Ernährungswissenschaftlerin.

Frische Lebensmittel für eine gesunde Ernährung. Auch in der Zahnarztpraxis wichtig. Gesund beginnt im Mund für starke Abwehrkräfte.

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Die Ernährung hat einen enormen Einfluss auf unsere allgemeine Gesundheit und damit auch auf die Mundgesundheit.
  • Es geht um das Zusammenspiel des gesamten Organismus bei der Abwehr von Keimen, Viren und Bakterien.
  • Chirurgische Eingriffe bedeuten immer Stress für unseren Körper.
  • Stress heißt immer auch höchster Energiebedarf.
  • Ein Nährstoffmangel darf nicht dazu führen, dass unser Immunsystem auf Sparflamme agiert.
  • Das Immunsystem sitzt nicht an einer einzelnen Stelle, sondern ist im gesamten Körper angesiedelt.
  • Immunstimulierend heißt nichts anderes, als “das Immunsystem anregen und unterstützen”.
  • Antioxidantien fangen die sogenannten “freien Radikale” ab.
  • Für Patienten, die gern substituieren wollen, ist die Auswahl wichtig.

Ein fester Platz in der Zahnarztpraxis - die Ernährungswissenschaft

Katrin Kersting ist Ökotrophologin. Sie hat Ernährungswissenschaften studiert und vermittelt ihr Wissen jetzt in einer Zahnarztpraxis. Das mag auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen, da in der Zahnarztpraxis neben den Medizinerinnen und Medizinern in der Regel Zahnarzthelferinnen vermutet werden.

Aber Ernährungswissenschaft in der Zahnarztpraxis? Das liegt näher als Sie denken.

“Die Ernährung hat einen enormen Einfluss auf unsere allgemeine Gesundheit und damit natürlich auch auf die Mundgesundheit. Dass Zucker und Säuren für Löcher in den Zähnen verantwortlich sind, ist den meisten sicher bekannt. Die Zusammenhänge sind aber noch viel komplexer. Es geht um das Zusammenspiel des gesamten Organismus bei der Abwehr von Keimen, Viren und Bakterien. Entzündungen im Mund sind purer Stress für unser Immunsystem. Eine Parodontitis beschäftigt den Körper dauerhaft, so haben Krankheitserreger ein leichteres Spiel.” Katrin Kersting, Ökotrophologin in Neumünster

Gesund beginnt im Mund - vor allem, wenn es schmeckt

Der Mund ist das Tor zum Menschen und damit auch zu seiner Gesundheit. Hier beginnt die Nahrungsaufnahme, hier finden erste Verdauungsprozesse statt. Und wer sorgt dafür, dass hier alle Systeme leistungsfähig sind? Dass Zähne, Zahnfleisch, die Kiefergelenke und die Muskulatur miteinander funktionieren? Richtig. Profis in den Zahnarztpraxen wie Oralchirurg Dr. Philip Stehling.

Die Praxis in der Alten Holstenbrauerei in Neumünster öffnete im Herbst 2019 die Türen. Der ausschließliche Fokus liegt auf chirurgischen Eingriffen wie beispielsweise dem Knochenaufbau und der Implantologie.

Zum Angebot gehört mittlerweile ein Ernährungskonzept, das Dr. Stehling zusammen mit Ökotrophologin Katrin Kersting entwickelt hat.

Das Team der Praxis in der alten Holstenbrauerei in Neumünster: Katrin Kersting und Dr. Philip Stehling

“Chirurgische Eingriffe bedeuten immer Stress für unseren Körper. Gerade im Mund befinden sich unzählige Bakterien und Keime, die das Risiko für Entzündungen enorm erhöhen. In dieser Situation sind unsere Abwehrkräfte besonders gefordert und müssen zu 100 Prozent funktionieren. Stress heißt immer auch höchster Energiebedarf. Jetzt darf ein Nährstoffmangel nicht dazu führen, dass unser Immunsystem auf Sparflamme agiert.” Dr. Philip Stehling, Oralchirurg Neumünster

Für Dr. Philip Stehling und Katrin Kersting ist die Ernährung eine wichtige Stellschraube: Ein Faktor, der im gesamten Behandlungsablauf direkt beeinflusst werden kann. Sie haben vor allem zwei Phasen im Blick.

Vor der Operation (präoperativer Fokus)

  • Stärkung des Immunsystems durch speziell fokussierte Nährstoffe.
  • Die richtige Ernährung wirkt einem Nährstoffmangel und einer Schwächung des Organismus entgegen.
  • Empfehlung: Zum Ernährungsplan noch mindestens 30 Minuten Aktivität (spazieren gehen, Radfahren).

Nach der Operation (postoperativer Fokus)

Hier geht es primär um die Erholung, die Regeneration des gesamten Systems. Die Nährstoffe haben dabei verschiedene Aufgaben:

  • entzündungshemmend
  • wundheilungsfördernd
  • knochenwachstumsfördernd
  • antimikrobiell
  • immunstimulierend

Fakten: Wo befindet sich das Immunsystem?

Das Immunsystem sitzt nicht an einer einzelnen Stelle, sondern ist im gesamten Körper angesiedelt. Dazu gehören Organe wie z. B. Milz oder Thymusdrüse und das Lymphgewebe, vor allem aber findet die Arbeit des Immunsystems dort statt, wo der menschliche Organismus und seine Umgebung direkt aufeinandertreffen: An den Schleimhäuten – in Nase, Mund und Rachen einerseits, in Magen und Verdauungstrakt andererseits – vor allem in dem für das Immunsystem so wichtigen Darm. (Quelle: GZM / Internationale Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnmedizin / Wechselwirkungen zwischen Zahngesundheit und Immunsystem)

Regionale Lebensmittel als Treibstoff für die Abwehrkräfte

Mit dem speziellen Ernährungskonzept der Praxis aus Neumünster erhalten die Patienten optimalen Treibstoff für ihr Immunsystem. Wie gelingt das? Hier die Antworten direkt aus der Praxis:

Katrin Kersting: “Wir legen Wert auf Nährstoffe, die direkt und indirekt unser Immunsystem unterstützen. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit saisonalen Lebensmitteln aus der Region hilft. Erdbeeren im Mai schmecken so lecker. Und es macht viel mehr Spaß sie zu essen, als zum Beispiel jeden Morgen gedankenlos Pillen zu schlucken und sich nicht weiter darum zu kümmern. Die Ernährung nachhaltig zu verändern, das ist unser Ziel!”

Dr. Philip Stehling: “Nehmen wir als Beispiel die antioxidative Wirkung. Stress und Umwelteinflüsse greifen die Zellen des Körpers an. Das Immunsystem muss die geschädigten Zellen wieder reparieren und benötigt dafür viel Energie. Antioxidative Nährstoffe fangen Schadstoffe ab, die unsere Zellen angreifen. Sie entlasten das Immunsystem auf indirekte Weise.”

Kleine Nährstoff-Infos

Sie lesen in diesem Artikel mehrfach Begriffe wie immunstimulierend und antioxidativ, die wir gerne erläutern.

Immunstimulierend heißt nichts anderes, als “das Immunsystem anregen und unterstützen”. Hier kommen beispielsweise die Vitamine D, E und A zum Einsatz.

Antioxidantien fangen die sogenannten “freien Radikale” ab. Das sind aggressive Verbindungen mit Sauerstoff, die gesunde Zellen im Körper angreifen und Krankheiten wie Krebs, Demenz und Rheuma auslösen sollen. Antioxidativ wirken Vitamin C und E, Selen, Magnesium, Niacin, Kupfer und Zink.

Und in diesen Lebensmitteln gibt es die Power-Nährstoffe (Beispiele):

  • Vitamin D: Sonnenlicht
  • Vitamin E: Nüsse
  • Vitamin A: Leber oder Möhre
  • Vitamin C: Paprika
  • Selen: Fisch
  • Magnesium: Haferflocken
  • Niacin: Vollkorn
  • Kupfer: Cashewkerne
  • Zink: Getreide

Interview mit Dr. Philip Stehling: Ernährung als Gesundheitsfaktor in der Zahnarztpraxis

Dr. Philip Stehling ist Oralchirurg und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von Information Mundgesundheit. Mehr über den Zahnarzt aus Neumünster und sein Team lesen Sie hier: Praxis alte Holstenbrauerei in Neumünster – das sind wir.

Oralchirurg Dr. Philip Stehling, Neumünster

Welche Rolle spielt die Ernährung aus zahnmedizinischer Sicht für den Menschen und sein Immunsystem?

Die Bedeutung der Ernährung muss aus meiner Sicht wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden. Es geht mir nicht um den erhobenen Zeigefinger und auch nicht darum, alles industriell Verarbeitete pauschal zu verteufeln.

Aber der Nährstoffgehalt bei den meisten industriell verarbeiteten Lebensmitteln ist einfach nicht ausreichend. Wir sollten uns wieder auf die Auswahl und die Qualität der Lebensmittel besinnen. Frische Produkte, die nicht um den halben Globus geschippert wurden, besitzen mehr Vitamine und Mineralstoffe. Sie haben daher einen nachweislich positiveren Effekt auf das Immunsystem.

Es geht immer darum, wie wir durch die Ernährung das Immunsystem stimulieren und aktivieren können. Darüber hinaus können wir durch die richtige Ernährung gezielt chronisch-entzündliche Prozesse wie bei der Glutenunverträglichkeit angehen. Und das ist nur ein kleines Beispiel.


Wie steht der Zahnmediziner zu Super-Food?

Da stellt sich für mich die Frage, was sind eigentlich Super- Foods? Müssen das Lebensmittel sein, die schon von den Inkas in Lateinamerika verzehrt wurden? Oder kann man auch beispielsweise den heimischen Spargel als Super-Food bezeichnen?

Persönlich spielt für mich bei den sogenannten Super-Foods auch die Ökobilanz eine Rolle. Muss es wirklich sein, dass wir für manche Lebensmittel unfassbare Mengen an Trinkwasser opfern, wie es zum Beispiel bei der Avocado der Fall ist? Oder ist das argentinische Steak dem heimischen derart überlegen, dass es den Aufwand für den Transport rechtfertigt?

Auch hier geht es mir nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern um den bewussten Verzehr.


Lebensmittel also lieber frisch und regional statt Convenience und Nahrungsergänzung?

Ich bin absolut davon überzeugt, dass regional und saisonal der Schlüssel ist. Kurze Transportwege erhalten Nährstoffe und Vitamine. Und nur weil ein Lebensmittel gerade zum Hype wird, heißt es noch lange nicht, dass unser Körper es in der notwendigen Form verstoffwechseln kann.

Substituieren, also unsere natürliche Ernährung ergänzen, ist für mich eine Frage der Überzeugung. Viele Nahrungsergänzungsmittel sind sehr hoch dosiert und es stellt sich die Frage der Wirksamkeit. Stellen Sie sich vor, sie kippen in einen Trabbi Super plus Benzin. Auch wenn Sie das Gaspedal mit beiden Füßen gleichzeitig durchtreten, fährt das Auto keine 200 km/h. Nun ist unser Körper aber eher ein Formel 1 Rennwagen. Tanken Sie den mit Diesel voll, ist es mit der Höchstleistung vorbei.

Daher gilt auch für Patienten, die gern substituieren wollen: Die Auswahl ist wichtig!

Ich gebe mein Geld viel lieber dem Landwirt von nebenan oder dem auf dem Wochenmarkt als einem Pharmakonzern. Allerdings gibt es für uns Mitteleuropäer ein Präparat, bei dem eine Substitution sinnvoll ist.

Das ist das Vitamin D3. Dies wird über die Haut bei Sonneneinstrahlung synthetisiert und kann nur in verhältnismäßig kleinen Dosen über die Nahrung aufgenommen werden. Vitamin D3 ist unter anderem für unseren Knochenstoffwechsel und das Immunsystem von großer Bedeutung. Es nimmt eine Schlüsselrolle im Knochenstoffwechsel ein, da es Calcium und Phosphat aus Darm und Niere resorbiert. Auch an der Steuerung und Bildung einer Vielzahl von Genen und Proteinen ist Vitamin D3 beteiligt.


Welche praktischen Tipps geben Sie Ihren Patienten, um die Abwehrkräfte maximal zu stärken?

Das sind eigentlich die Klassiker. Ausgewogene Ernährung, eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung und natürlich eine adäquate Mundhygiene. Grundsätzlich empfiehlt sich bei der Lebensmittelauswahl der Blick auf die Inhaltsstoffe. Wenig Zucker, dafür Ballaststoffe. Weniger Weizenmehlprodukte, dafür Alternativen wie Dinkelmehl. Umso frischer, desto besser.

Patienten mit einer Parodontitis (Parodontose) empfehlen wir alternativ zu chemischen Mundspüllösungen das sogenannte “Öl ziehen”. Hierbei zieht man ein natives Öl durch die Zahnzwischenräume. Das Öl bindet dabei Bakterien und Keime.

Daran muss man sich erst mal gewöhnen, weil es im ersten Moment etwas eklig ist, aber das Ergebnis überzeugt.


Woher weiß ich als Verbraucher, welche Lebensmittel die richtigen sind?

Wir können den regionalen Bauern- oder Wochenmarkt empfehlen. Sie werden überrascht sein, was da so los ist. Bei uns tummeln sich viele junge Landwirte mit richtig starken Konzepten. Sie erzählen gerne , wie sie produzieren und wie sie Boden- und Pflanzenschutz betreiben.

Zum Teil haben sie gar keine Bio-Zertifizierung, weil es zu aufwendig und zu teuer ist. Sie sind aber überwiegend mehr Bio als viele zertifizierten Großbetriebe.

Auf Güte-Siegel kann man auch achten, wobei das fast eine kleine Wissenschaft für sich ist. Mit dem EU-Bio-Siegel liegt man immer richtig und hat ein vernünftiges Maß an Sicherheit. Demeter-Produkte sind sicherlich überdurchschnittlich gut, haben aber auch ihren Preis.

Eine prima Option sind die sogenannten Bio- oder Hof-Kisten. Diese Bio-Kisten enthalten saisonale Erzeugnisse. Landwirte oder spezialisierte Betriebe bieten diese in fast jeder Region an. Sie werden wöchentlich nach Hause geliefert. Man spart sich also den Weg in den Supermarkt.


Rezepte: Bananen-Smoothie und Broccolie-Suppe

Zwei Rezepte, die Sie nicht bei Ihrer Krankenkasse einreichen können

Na klar: kein Arztbesuch ohne Rezepte. Das gilt natürlich auch bei uns.

Für den Power-Smoothie (547,4 kcal) mixen Sie:

  • 1,5 Bananen
  • 2 EL Weizenkleie
  • 2 EL Erdnussbutter
  • 1 EL Zuckerrübensirup
  • 2 EL Kakaopulver
  • 140 ml Mandeldrink

Wirkstoffe → Selen und Vitamin E: Selen wirkt durch verschiedene Funktionen nach der Operation positiv. Es wirkt gegen Entzündungserreger, wird für das Zellwachstum benötigt und wirkt zudem antioxidativ, wodurch das Immunsystem unterstützt wird. Die immunstimulierende Wirkung von Vitamin E erzielt über andere Wege die gleichen Effekte wie Selen. Zusammen wirken die beiden Nährstoffe exponentiell stärker als allein.

Die Boosting-Brokkolisuppe (421,54 kcal) besteht aus:

  • 200 g Brokkoli
  • 50 g Petersilie
  • 1 EL Sesam
  • 1 EL Sonnenblumenöl
  • 1/2 Zwiebel
  • 1 Knoblauchzehe
  • 300 ml Gemüsebrühe
  • 40 g Gouda
  • 1 EL Zitronensaft

Wirkstoffe → Calcium, Magnesium, Vitamin C: Calcium wird als Hauptbaustein für den Knochenaufbau benötigt. Kollagen ist essenziell für den Zellaufbau und kann erst durch die Anwesenheit von Vitamin C gebildet werden. Magnesium mineralisiert den Knochen, stabilisiert die Zellen und verhindert oxidativen Stress.

Der zahnmedizinische Fachbeirat von information-mundgesundheit.de

Dieser Artikel wurde von der Information-Mundgesundheit Redaktion nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und erstellt. Die Informationen ersetzen in keiner Weise den zahnärztlichen Rat und den Besuch in der Zahnarztpraxis. Die Redaktion wird unterstützt von unserem zahnmedizinischen Fachbeirat, der unsere Artikel, sofern es aktuell möglich ist, fachlich prüft. ⏩ Der Fachbeirat von Information-Mundgesundheit