Wussten Sie’s? Bereits die Etrusker konstruierten aus Golddraht und Zahn kunstvolle Brücken – allerdings nur zum Schein und zur Zierde der Toten. Und während der Aufklärung im 18. Jahrhundert verschlossen sich die Herren der Schöpfung klugen Erkenntnissen: Bei Männern galt das Zähneputzen als dekadent. Was ist daraus geworden? Zum Weltgesundheitstag (7. April) knüpfen wir historisch gesehen an das Motto der WHO an: Flächendeckende Gesundheitsversorgung.
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Zahnschmerzen “wurmten” schon im frühen Mittelalter die Menschen – sie hielten die Karies für einen Zahnwurm.
- Wissenschaftler stellen fest: Die Mundflora unserer Vorfahren gleicht unserer heutigen. Bakterien erzeugten auch damals Karies und Parodontitis.
- Die Zahnmedizin biss sich regelrecht durch. Erst die Preußen unterschieden zwischen Zahnärzten und “Mundhandwerkern”.
- Erst in jüngster Zeit sind Mundhygiene und Prophylaxe fester Bestandteil unseres Alltags.
- Der demografische Wandel bedroht die optimale zahnmedizinische Versorgung.
Karies, Parodontitis und Vorsorge durch Zahnpflege: So alt wie die Menschheit
Sie sehen schon lustig aus: Nachbildungen unserer Vorfahren aus der Steinzeit zeigen grobe, wenig attraktive Gesichtszüge. Auffällig sind kurze Stirn und breiter Kiefer. Und heute? Ist es andersrum: Während das Gehirn des Homo Sapiens wuchs, bildete sich der Kiefer zurück. Das scheint merkwürdig, braucht doch mehr Gehirnleistung auch mehr Energie.
Untersuchungen spanischer Forscher erklären die “evolutionäre Paradoxie” mit dem Wandel der Ernährung. Der Mensch stieg von energiearmer Rohkost, die mit kräftigen Backenzähnen zermahlen wird, auf proteinhaltiges Fleisch um. Parallel entwickelten sich Kulturtechniken wie handwerkliches Zerkleinern und Kochen. Für die Nährstoffgewinnung und auch die Versorgung des Gehirns war ein kräftiger Kiefer nicht mehr wichtig.
Schlanker Kiefer, weniger Probleme?
Auch wenn die Schneidezähne den Molaren, also den Mahlzähnen, den Rang abgelaufen haben: Seine Empfindlichkeit hat der Kauapparat nie eingebüßt. Der nach außen mit hartem Schmelz geschützte und so robuste Zahn ist seit Menschengedenken im Inneren ein empfindliches Organ. Plaquebildung und mangelnde Mundpflege haben wohl schon immer zu Krankheiten wie Karies oder Parodontitis geführt. Man wusste nur nichts über die Zusammenhänge.
Zucker und Parodontitis: Keine Erfindung der Neuzeit
Apropos Kulturtechniken: Findig und fleißig entwickelt der Mensch sein Umfeld und damit seine Ernährung. Mit dem Ackerbau bereicherten die Kohlenhydrate die Ernährung – die verwandeln sich bereits im Mund durch Kauen und Speichel zu Zucker. Der wiederum füttert Bakterien in der Mundhöhle: Das Ergebnis sind saure Ausscheidungen, die den Zahnschmelz angreifen.
Karies und Parodontitis sind bakterielle Krankheiten und gelten heute als sogenannte Zivilisationskrankheiten. Allerdings peinigten sie bereits unsere Vorfahren.
- Höhlenmenschen, die vor 15.000 Jahren in Marokko lebten und deren Skelette inzwischen archäologisch untersucht wurden, zeigen Hinweise auf Karies. Die Jäger und Sammler ernährten sich unter anderem von Eicheln, die, geschält, gekocht und zerstampft, ebenfalls von Bakterien im Mund zu Zucker zersetzt wurden. Zähne wurden vor 15.000 Jahren noch nicht geputzt – und so breitete sich die Karies aus.
- Untersuchungen der DNA verkalkter Zahnbeläge von Skeletten aus der Zeit des Mittelalters weisen neben Erregern für Karies auch solche für Parodontitis sowie Herz- und Gefäßkrankheiten auf. Die Forscher schlossen aus dem Vergleich mit Proben heutiger Menschen, dass sich die Zusammensetzung der Mundflora seit Jahrhunderten nicht verändert hat.
Harte Fakten zu Zahnstein: Archäologen “lieben” Zahnstein, denn dieses Material bewahrt über Jahrhunderte hinweg Hinweise auf die Lebensgewohnheiten unserer Vorfahren auf. Heute sehen Zahnärzte das natürlich ganz anders. Zahnstein ist der ideale Nährboden für Bakterien, aus denen sich Entzündungen entwickeln. Wie man sich davor schützt, zeigt Information Mundgesundheit. Zahnstein: Was ist das eigentlich und wie werden wir ihn wieder los?
Mehr Wissen: Der “Zahnwurm” windet sich durch die Geschichte der Mundgesundheit: Kariöse Stellen wurden jahrhundertelang mit dem Zahnwurm erklärt. Erst der US-amerikanische Wissenschaftler und orale Mikrobiologe Willoughby D. Miller schaffte den Mythos ab. Er belegte 1890, dass Bakterien in der Mundflora die Kohlenhydrate zu Säure abbauen. Mehr Wissen zur Karies und was dagegen hilft: Vom Säugling bis zum Senior: Das müssen Sie über Karies wissen!
Schon die alten Griechen putzten die Zähne
Die Idee, direkt am Ort des potentiell schmerzhaften Geschehens aktiv zu werden, ist nicht neu. Man putze bereits in der Antike die Zähne mit den Fingern oder griff zu Kauhölzchen.
Die Putzmethoden waren allerdings recht abrasiv – ruppig wurde der Zahnschmelz abgetragen.
- Die Römer verwendeten gemahlenen Bimsstein oder Marmor.
- Die Griechen griffen zum rauhen Leinentuch.
- In Mesopotamien wurde Baumrinde mit Kräutern zur Zahnpasta angerührt.
Ahnte man, dass Zahnbelag die Basis für Karies und Parodontitis bildet? Oder folgte man mit blitzblanken Zähnen lediglich einem Schönheitsideal? Wer Wert auf Äußerlichkeiten legte, war damals jedenfalls wie heute schwer im Vorteil.
Mehr Wissen: Zweimal täglich Zähne putzen! Das haben wir uns eingeprägt. Aber wie geht es richtig? Und welche Bürste ist optimal? Wir haben uns schlau gemacht: Die Zahnbürste – gesund und wichtig, aber auch nachhaltig?
Von Zahnartisten und anderen Künsten der Zahnheilkunde
Männer begeisterten sich erst ab dem 19. Jahrhundert für die Zahnpflege. Bis dahin galt Zähneputzen bei den Herren der Schöpfung als dekadent – im Gegensatz zu den Frauen. Für die Beseitigung der Schäden war das starke Geschlecht dann doch zuständig. Als “Zahnbrecher” und “Zahnreißer” entfernten sie unsanft, was schmerzte. Erst die Preußen regelten den Beruf des Zahnarztes im Jahr 1825.
1869 wurde allerdings die sogenannte Kurierfreiheit verfügt und so kamen “Zahnartisten” und “Zahnkünstler” zum Zuge.
1952 wurden Dentisten zu Zahnärzten
Die approbierte Zahnärzteschaft wehrte sich und bildete 1859 den Central-Verein deutscher Zahnärzte – Vorläufer der heute tätigen Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Man optimierte die Ausbildung und führte die Zahnheilkunde auf das Niveau der Medizin. Zeitlich parallel entwickelte sich der Beruf des Zahntechnikers.
Mundgesundheit: Handeln wir heute klüger als der Neandertaler?
Man möchte antworten: Nein. Aus seiner Höhle zog der Mensch ins Häuschen. Dabei veränderten sich Ernährung und Lebensstil drastisch – nicht immer zum Vorteil. Wir beobachten heute:
- Fertiggerichte lassen uns das gesunde Kochen verlernen.
- Der Arbeitsalltag und die Digitalisierung verhindern die Bewegung.
- Zu den Zivilisationskrankheiten wie Rückenschmerzen oder Übergewicht kommen Karies und Parodontitis.
Warum behandeln wir unseren Körper und speziell auch die Mundgesundheit heute so schlecht? Wir müssten es doch besser wissen! Denn die Wissenschaft entwickelt sich immer weiter. Historische Entdeckungen in der Medizin haben die Gesundheit der Menschheit nachhaltig gefördert:
- Immunisierung durch Impfung.
- Schutz durch Hygiene.
- Heilung durch Penicillin
… um nur einige Meilensteine der Medizingeschichte zu nennen.
So viel Fortschritt – und doch gibt es keine flächendeckende Gesundheitsversorgung weltweit. Viele Menschen sind schlicht von einer qualifizierten Diagnose und Behandlung abgeschnitten. Wie im Jahr zuvor thematisiert der Weltgesundheitstag 2019 die flächendeckende Gesundheitsversorgung. Bis heute gab es jedoch kein Motto, in dem es um die Bedeutung der Zahngesundheit für das Wohlbefinden der Menschen geht.
In den Industrieländern wird die flächendeckende Gesundheitsversorgung umgesetzt und wir profitieren von den medizinischen Erkenntnissen. Betrachten wir speziell die Mundgesundheit, zeichnet sich in Deutschland ein positiver Trend ab.
Mundgesundheit gelingt heute durch Eigenverantwortung
Selbstverwirklichungserwartung zur eigenen Zahngesundheit – diese sperrige Umschreibung meint: Wie steht es um die Motivation bei der Mundgesundheit? Die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2016 gibt eine positive Antwort:
- Zwischen 70 und 80 Prozent der Befragten sind, je nach Altersgruppe, davon überzeugt, selber viel oder sehr viel für die Gesundheit der eigenen Zähne tun zu können.
- Jedes zweite Kind und jeder dritte Erwachsene kennt Empfehlungen zur Mundpflege.
- Die Bedeutung von regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen, Beherrschung der Mundpflege und praktischer Einsatz von Hilfsmitteln gehören dazu.
- Gruppenprophylaxe wie Individualprophylaxe greifen.
- Das Bonussystem setzt weitere Anreize.
Mundgesund nur durch die Verbindung verschiedener Disziplinen
In der Zahnmedizin kann die Prothetik sicherlich als bahnbrechend bezeichnet werden. Schon in der Antike ersetzte man fehlende Zähne durch anderes Material wie Holz, Knochen oder Zähne anderer Menschen – lebendig oder verstorben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts experimentierte man mit verschiedenen Materialien wie Gold, Silber, Platin, Kautschuk und Keramik.
Die Implantologie zeigt, dass erst das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen zum Erfolg führt
Ende des 20. Jahrhunderts war man soweit, geeignete Betäubungsmittel, Bohrmaschine und Röntgenstrahlen mit dem Material Titan für ein qualitatives Implantat zu vereinen. Künstliche Zahnwurzeln aus Titan und Keramik gehören weltweit ins Portfolio der Zahnheilkunde. Seit 1982 ist in Deutschland die Implantologie wissenschaftlich anerkannt.
Die Kombination von Wissen und Forschung macht den Mund gesund
Erst konsequente Zahnpflege und Vorsorge machen den Menschen gesünder. Ein Wandel im Alltag jeder einzelnen Person schützt vor Zivilisationskrankheiten wie Karies oder Parodontitis.
Diese Maßnahmen wurden von staatlicher Seite wie von Standesorganisationen zur Vorsorge ergriffen:
- Das Festzuschusssystem
- Kinderuntersuchungsheft
- Bonusheft
- Putztraining im Kindergarten
- Besuch von Zahnärzten in Kindergärten und Schulen
Altbauer sucht Jungzahnarzt: Die Zukunft der Mundgesundheit?
Früher rauschte das Wasser, während man sich die Zähne putzte. Das ist vorbei. Ressourcen schonen ist genauso angesagt wie konsequente Mundpflege. Gut so, aber kein Grund für Zufriedenheit. Zwei Themen zeichnen sich als problematisch für die nähere Zukunft ab:
- Demografischer Wandel, also die Überalterung unserer Gesellschaft.
- Medizinische Unterversorgung ländlicher Regionen.
Demografischer Wandel wirkt in zwei Richtungen
Zum einen müssen sich die Zahnärzte auf die besonderen Ansprüche von Senioren einstellen. Diese Altersgruppe entwickelt spezielle Krankheitsbilder wie:
- Wurzelkaries.
- Zahnhalsdefekte.
- Erosionen.
- Zahnfrakturen.
Spezielles Interieur der Zahnarztpraxis sowie die angepasste Ausbildung des Teams nutzen dieser Patientengruppe wirklich. Dafür sind besondere Investitionen notwendig. Andererseits liegt hier eine Chance – für die Zahnärzte wie für die Gesellschaft. Die Deutsche Gesellschaft für AlterszahnMedizin (DGAZ) und die Akademie Praxis und Wissenschaft bieten das Curriculum Seniorenzahnmedizin an.
Zum anderen fehlen junge Mediziner. Das liegt am Ungleichgewicht von jungen und alten Menschen. Aber auch an der Tatsache, dass junge Zahnmediziner lieber in die Anstellung gehen, als eine eingesessene Praxis zu übernehmen. Das führt zur nächsten Problematik: die medizinische Unterversorgung ländlicher Regionen.
Als Arbeitsform beliebt sind die sogenannten MVZ (Medizinische Versorgungszentren). Seit 2015 können sich Zahnärzte – wie auch andere medizinische Berufsgruppen – zu solchen Zentren zusammenschließen. Allerdings siedeln die sich bevorzugt im urbanen Raum an.
Das Handy macht keine Füllung, aber erinnert ans Zähneputzen
Wer über flächendeckende Gesundheitsversorgung nachdenkt, hat schnell die mobile Kommunikation vor Augen. Sogar Oma und Opa blicken immer häufiger aufs Smartphone. Die Probleme des demografischen Wandels und die Unterversorgung ländlicher Regionen lassen sich zum Teil wohl durch Telemedizin auffangen. Aber eben nicht komplett. Prophylaxe, Behandlung und Nachsorge: Dafür ist der Zahnarzt da – nicht Siri oder Alexa.
Die schöne, neue Welt der Mundgesundheit: In jeder Epoche sah sie anders aus. Wie den Vorspann zu “Big Bang Theory” haben wir ein paar Highlights der zahnärztlichen Historie hier abgespult. Putzen wir also munter weiter – weltweit!
Über den Weltgesundheitstag:
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnert am 7. April jährlich an ihre Gründung im Jahr 1948. Die WHO möchte Themen von globaler Relevanz weltweit ins Bewusstsein bringen. Seit 1954 nimmt auch Deutschland an der Aktion teil. Das internationale Thema wird national interpretiert. Ein Blick auf die Liste der Weltgesundheitstage in Deutschland zeigt: die Mundgesundheit fehlt. Das motiviert die Redaktion von Information Mundgesundheit hier regelmäßig ein kleines Zeichen zu setzen. Denn zur gesamten Gesundheit eines Menschen gehört das Wissen zur Mundgesundheit.